Homestory

Wenn

die Sinne

verrückt spielen.

Ein Besuch bei

Ralf Ellers.

Als ich das erste Mal Ralf Ellers Wohnung betreten habe, wollte ich gar nicht mehr gehen. Vor vielen Jahren waren wir Nachbarn, als er mich eines Tages um einen ganzgewöhnlichen Nachbarschafts-Gefallen gebeten hat: Die Katze namens Ratze füttern.

So fuhr er in den Urlaub und ich stiefelte am nächsten Tag die eine Etage hoch zu seiner Wohnung. In keiner besonderen Erwartungshaltung öffnete ich die Tür und war erstaunt: nicht die Katze, sondern ein kleines Museum empfing mich. Ach, was erzähle ich, ein großes Museum! Denn die komplette Wohnung ist übersät mit seiner Kunst.

Ich wurde überflutet von Reizen und wusste gar nicht, wo ich zuerst hinschauen soll. An jedem Zentimeter einer Wand hängen gerahmte Bilder und teilweise irrsinnige Installationen. Von kleinen fast miniaturartigen Bildern bis zu großflächigen Gemälden zieren die hohen Wände der Altbauwohnung in Detmold.

In fast jeder Ecke hocken kleine Schnitzfiguren und auch große Holzstatuen. So unterschiedlich diese pfahlförmigen Skulpturen in ihrer charakteristischen Optik sind, so haben sie doch immer eines gemeinsam: einen weit aufgerissenen Mund, der mit weißen dreieckigen Zähnen verziert wurde. Sie erinnern mich an das Maul eines Haies. Etwas später erinnere ich mich auch an Ratze und stelle dem hungrigen Kater Futter hin. Dann flaniere ich weiter durch die Wohnung. Inmitten dieser Kunstlandschaft lassen sich ihre Ursprünge finden: Bücher, teilweise in Regalen, teilweise – wohl aus Platzmangel – ordentlich auf dem Boden gestapelt. Auf den ersten Blick identifiziere ich am ehesten die Bücher, die mit großen Lettern auf dem Buchrücken versehen sind: Kunst, Pop-Kultur und Punk-Musik. Das ist seine Ideenwelt.

„Ich bin immer

auf der Suche

nach einer Idee

und hoffe, dass es

eine gute Idee ist“

„Ich bin immer auf der Suche nach einer Idee und hoffe, dass es eine gute Idee ist“, erzählt Ralf Ellers. Die meisten Bilder enthalten einen Satz. Oft ist dieser zuerst in seinem Kopf und spiegelt eine Liedzeile oder eine Referenz zur Literatur wider. Um diesen Text spinnt sich schließlich das Bild. Es setzt sich aus mehreren Elementen zusammen, die zum größten Teil auf Fotos basieren. Und immer versteckt sich hinter jedem seiner Kunstwerke eine Aussage.

Nicht immer ist diese für jedermann lesbar und doch neigen die Betrachter seiner Bilder dazu, des Rätsels Lösung unbedingt finden zu wollen. „Dabei mache ich gar kein Geheimnis drum“, sagt er. Wer ihn anspricht, dem erzählt er die Idee hinter dem Bild und muss ihn manchmal dabei enttäuschen: „Die Leute wollen gerne etwas Konkretes hören, dabei führen die jeweiligen Elemente nicht zwangsläufig zu einem Aphorismus.“ Es freut ihn, wenn die Menschen an seinen Bildern stehen bleiben und anfangen miteinander zu diskutieren. Und häufig amüsiert es ihn, was alles in seinen Werken gelesen wird.

„Ich gehe auf

die Bühne, obwohl

ich nichts kann“

Einige sind auf einer total falschen Fährte, doch es gibt auch Rückmeldungen, die ihn erstaunen, weil sie ziemlich genau seiner Vorstellung entsprechen. Und wieder andere Menschen haben neue Ideen, die der 47-Jährige auch zulassen kann. Keine Frage, seine Arbeit beinhaltet oft eine Gesellschaftskritik.

Es geht um Konsum, Krieg und kulturelle sowie politische Ereignisse. Sein Stil erinnert an die Posterkunst der 60er Jahre. „Poster haben ja auch oft eine Botschaft für oder gegen eine bestimmte Sache“, erklärt er. Es sei bei aller Ernsthaftigkeit in seinen Bildern, auch sehr viel Humor drin: „Den erkennen die Leute häufig nicht und fragen mich, warum ich immer so negative Bilder malen würde.“ Er schweigt kurz und dreht an seiner Zigarette. „Das sehe ich gar nicht.“

Ralf Ellers schildert eine Situation, die exemplarisch dafür steht, wie unterschiedlich die subjektive Wahrnehmung von Künstler und Rezipient sein kann. Er verkauft seine Bilder nicht, stellt sie aber gerne aus. Von einer Institution wurde er jedoch mit einer eher abstrusen Begründung abgelehnt. Es ging um eine Bilder-Serie, die aus Brauntönen besteht. Bis zu 18 verschiedene Farben hat Ralf Ellers in mehreren Bildern verarbeitet.

Er wollte eine gewisse Fotoästhetik erzielen, die an alte vergilbte Fotografien erinnern soll. Stattdessen wurde ihm vorgeworfen, dass seine Bilder „braune Tendenzen“ aufweisen. Der Bezug zur politischen Symbolfarbe der Nationalsozialisten hat ihn erschüttert: „Das bin nicht ich.“

Seine Inspiration kommt hauptsächlich aus der Literatur und Musik, die ihm selbst gefällt. Insbesondere der Punkrock der 70er und 80er Jahre hat ihn geprägt: The Pogues, Ramones und Iggy Pop. Hier zieht der gelernte Erzieher eine eindeutige Parallele zu seiner Kunst: „Nichts anderes mache ich hier!“ Punk hat diese Attitüde: „Ich gehe auf die Bühne, obwohl ich nichts kann“, erklärt er, „es ist dieser Dilettantismus, zu dem ich mich als Maler auch zähle.“

Die Begründung dieser Haltung sieht er in seiner Methode: „Im Grunde ist es Malen nach Zahlen.“ Der Prozess seiner Arbeit ist weitaus komplizierter. Die Idee in seinem Kopf muss schließlich irgendwie auf die zu bemalende Fläche. Dabei benutzt er einen Bilderwerfer, der die Fotos auf das Papier projiziert.

„Scheiße,

das wird nie

hinhauen!“

In seinem abgedunkelten Malzimmer hockt er anschließend auf seinem kleinen Medizinball und überträgt mit einem weichen Bleistift die Konturen der Schatten. Das ist der Teil, vor dem er bis heute Respekt hat und der die größte Herausforderung für ihn darstellt: „Wenn ich das Licht dann wieder einschalte, sehe ich eine einzige Schmiererei und denke: ‚Scheiße, das wird nie hinhauen!’“

Mittlerweile hat er genug Vertrauen gewonnen, dass die gezeichneten Linien doch immer Sinn ergeben. Die Flächen nummeriert er durch und weist sie den verschiedenen Farben zu. Dann beginnt er zu malen. Ralf Ellers benutzt ausschließlich Kunstharzlacke. Dabei entsteht eine sehr gleichmäßige Ebene und Pinselstriche sind nicht mehr zu erkennen.

„Dort gibt es eine Wand. Die gehört nur mir.“

Das ist ihm wichtig, denn so entsteht im Gesamteindruck der bereits beschriebene Effekt eines Plakats. Um diese Illusion zu perfektionieren, werden die äußeren Linien seiner Motive nicht mit einem Pinsel gemalt. Er tupft Farbe auf eine Stricknadel und zieht Tropfen für Tropfen die Ränder nach. Eine mühevolle Fleißarbeit, die viele Stunden in Anspruch nimmt. Bis zu drei Monate arbeitet er an einem Projekt. Aktuell schnitzt er wieder eine Serie von Holzskulpturen. Sie sollen die drei größten Verbrecher der Welt darstellen: Hitler, Stalin und Mao.

Schon oft wurde der Vater einer 7-jährigen Tochter gefragt, ob er seine Werke verkauft. „Nein, das, was mir die Bilder wert sind, kann keiner bezahlen“, sagt er, „dafür stelle ich super gerne aus!“

Sehr oft können seine Bilder und Skulpturen im Detmolder Paraplü in der Bruchmauerstraße betrachtet werden. Das ist seine Stammkneipe. „Dort gibt es eine Wand. Die gehört nur mir.“ Und dort sitzt er gerne mit seinen Freunden und Fußballkollegen an der Theke und beobachtet die Reaktionen der Gäste auf seine Bilder.

Bis er nach Hause geht. In seine Wohnung, in sein Museum.

 

Text und Fotos: Eva Respondek